Schnee oder besser Schneeeeeee! Seit gut zwei Wochen erwartet uns früh am Morgen vor dem Frühstück die gleiche Routine: warme Unterwäsche an-, Skihose rauf-, Wollmütze und Handschuhe überziehen und auf geht’s zum Schneeschaufeln. Im Innenhof, im Schweinegatter (natürlich warten unsere beiden Herren mit dem Pipi machen bis wir geschaufelt haben – wer hängt schon gerne morgens seinen Bauch in den Schnee?) und bei den Enten und Hühnern.
Unsere Hühnerschar bestand aus fünf Hühnern (eine davon fiel trotz aller Vorsichtsmaßnahmen dem Habicht anheim) und zwei Hähnen, deren Geschlechtsreife gerade jetzt während Wintersturm und Tiefschnee einsetzte. Zwar haben wir unseren Hühnerstall so konzipiert, dass sich unsere Hühner bei einer eventuellen Stallhaltungspflicht nicht wie in der Legebatterie fühlen müssen, trotzdem ist darin zu wenig Platz für zwei ums Revier streitende Hähne.
Vor Anschaffung unserer Hühner war klar zwischen Christoph und mir ausgesprochen, dass wir uns in Zukunft so weit wie möglich mit Hühnerfleisch selbst versorgen möchten, nur kam der Augenblick der Wahrheit doch schneller als gedacht. Eigentlich wollten wir einen Hahn im Frühling an Freunde weitergeben, doch bedingt durch die ständigen Rangkämpfe und die damit verbundene Unruhe und aggressive Stimmung innerhalb der Schar mussten wir eine Entscheidung treffen. Bleiben durfte jener Hahn, der unserer Beobachtung nach, seine Hühner besser unter Kontrolle hält und für mehr Ruhe in der Schar sorgen würde.
Nun gut, theoretische Recherchen von zahlreichen Youtube-Videos, Nachlesen in Büchern und in diversen Selbstversorgerkanälen waren eine Sache. Die praktische Durchführung, alle damit zusammenhängende Emotionen und Befürchtungen, dann jedoch eine ganz Andere. So ein Huhn legt letztendlich nicht freiwillig seinen Kopf auf den Schlachtstock und verliert vorher aus Vorfreude auf den Kochtopf noch im Vorbeigehen alle Federn.
Das Schlachten:
Unsere Hühner lassen sich auf den Arm nehmen, sind durch Milbenkontrolle oder das Stutzen der Schwungfedern bedingte Berührungen gewöhnt. Der Hahn zeigte also keine Unruhe, als er von mir hochgenommen, gestreichelt und zur Seite gedreht wurde – was ganz wesentlich ist: wird Geflügel vor dem Schlachten unter Stress gesetzt, verkrampft sich die Muskulatur und das Ausbluten und Rupfen wird erschwert.
Christoph atmete noch einmal durch und nach einem kräftigen Schlag mit der vorab angeschärften Axt war es erledigt. Ich hielt den Hahn an den Beinen und ließ ihn in einem Eimer ausbluten. Das Zentralnervensystem sendet nach wie vor Signale Richtung Muskulatur, deswegen schlägt ein Huhn nach dem Schlachten kräftig mit den Flügeln und zuckt, was jedoch nach einigen Sekunden vorbei ist. Zwar war mir diese Tatsache bekannt, trotzdem war ich über die Heftigkeit der Bewegungen überrascht. Emotional war das für mich der schwierigste Moment, weil mir bewusst wurde, dass wir Leben genommen haben und zwar unwiederbringlich. Der muntere braune Hahn, der mir morgens immer aus Vorfreude auf sein Frühstück entgegengekräht hatte, war tot.
Das Rupfen:
In einem zuvor vorbereiteten Kübel mit gerade nicht kochendem Wasser wurde der Hahn etwa eine Minute getaucht und leicht bewegt. Beim Rupfen habe ich mich vorsichtig von den Beinen zum Kopf hin gearbeitet um die Haut nicht zu verletzen und das Wasser mehrere Male gewechselt. Wiederholtes Tauchbaden im heißen Wasser hilft die Haut warm zu halten, um alle Kiele gut entfernen zu können. Nach dem Abflämmen ging es weiter in die Küche damit.
Das Ausnehmen:
Nun ja, jetzt lag er vor mir unser Hahn und sollte in den Ofen wandern… die Innereinen kannte ich bis dato nur als in Plastik wohlverpacktes Bonusmaterial, das mit den Hühnern aus dem Supermarkt mitgeliefert wird.
Trotz Studium diverser Schautafeln zur Hühneranatomie stand ich dann jedoch relativ ratlos vor unserem potentiellen Mittagessen. Gesagt getan, da vom Anschauen alleine noch kein Henderl küchenfertig gemacht wurde, war nun Learning by doing angesagt.
Beim Ausnehmen habe ich mich im Wesentlichen an die Vorgaben meines „Nachschlagewerks für eh Alles an Hof“ ab Punkt 3 gehalten (Bildnachweis: John Seymour - Das neue Buch vom Leben auf dem Lande; S. 221)
Flügel und Beine habe ich gleich zu Beginn mit einer Geflügelschere beim Gelenk abgetrennt. Das nächste Mal muss ich jedoch unbedingt die Keulen wie empfohlen zusammenbinden, um den Deckel des Topfes ordentlich schließen zu können.
Zuerst mit den Fingern unter den Kropf und den oberen Teil der Speiseröhre sowie der Luftröhre greifen und den abgetrennten Teil aus dem Hals ziehen. Speise- und Luftröhre mit einer Hand greifen, mit der anderen das Tier fixieren und mit kreisenden Bewegungen lösen und herausziehen. Es hilft, wie oben beschrieben, vorher den Zeigefinger von oben in das Huhn zu stecken und die Innereien mit Kreisbewegungen zu lockern.
Wichtiges Detail am Rande: idealerweise sollten die Hühner 12 Stunden vorher nichts zu Fressen erhalten haben, da sonst Futter aus Speiseröhre und Kropf quillt und das Reinigen ungemein erschwert.
Beim Herausschneiden der Kloake mit einem wirklich scharfen Messer und sehr vorsichtig arbeiten, um nicht den Mastdarm zu treffen. Ebenfalls müsst ihr aufpassen, nicht versehentlich die Galle, die bei der Leber liegt zu zerstören, da Gallensaft bitter ist und das Fleisch vergällt.
Innereien, Kopf und Füße bekamen gereinigt und gekocht unsere Katzen und Hunde in den Futternapf, die Federn wanderten auf den Komposthaufen – nichts wurde verschwendet. Den Hahn habe ich im Römertopf mit Wurzelwerk und Bier so lange gebraten, bis sich die Keulen lösen ließen. Die Fleischqualität war ganz ausgezeichnet und die Mühe des Rupfens und Ausnehmens auf alle Fälle wert! Nur die Keulen waren geschmacklich und von der Konsistenz her ungewöhnlich intensiv und bissfest, was auf den hohen Muskelanteil durch die Freilandhaltung und das „gesetztere Alter“ unseres Hahnes zu erklären ist.
Ob es moralisch vertretbar ist, zu töten, um Fleisch zu essen muss jeder für sich selbst und nach seinen Möglichkeiten entscheiden. Wir essen Fleisch, zwar wenig, doch sehr gerne. Unser Hahn durfte artgerecht leben, im Gras scharren, in der Sonne Staub baden und vom Hochnehmen bis zum Töten hat es keine drei Minuten gedauert.
Für uns ist es ein weiterer Schritt in die Richtung Selbstversorgung, und ich kann bestätigen, dass sich unsere Wertschätzung für Lebensmittel – egal ob für selbst angebautes Gemüse, Brot mit selbst angesetztem Sauerteig oder einem geschlachteten Hahn – das letzte Jahr ganz stark verändert hat. Ich bin überzeugt davon, die Hingabe, Liebe und Sorgfalt in selbst gewonnen Produkten schmecken und riechen zu können - und: ob ein geschlachtetes Tier ein artgerechtes Leben führen durfte.
Ja, es ist manchmal mühsam, Erde umzustechen und sich dabei Blasen an den Händen zu holen oder Gießkannen durch den Gemüsegarten zu schleppen. Oder schwere Schubkarren mit Kompost durch den Garten zu schieben. Oder Heu mit der Sense zu mähen, weil wir noch keinen ordentliches Mähbalken für den Traktor haben. Und ja, es gibt angenehmere Beschäftigungen, als die Hand in den Leib eines toten Tieres zu stecken. Doch aller Mühen zum Trotz: die Befriedigung und Dankbarkeit für die Möglichkeit, meine Familie mit selbst gewonnen Lebensmitteln versorgen zu können, zählt für mich zu den schönsten Gefühlen überhaupt!